Martin Schittig
Arbeiten
Werte
28.6.2023

Persönliche Probleme gehören nicht ins Büro. Oder?

“Wie geht’s?” “Gut, danke! Selbst?”. Was so banal daherkommt, ist eine Floskel, die Tag für Tag unreflektiert ausgesprochen wird. Keiner rechnet mit einer ehrlichen Antwort, zumindest nicht im Business-Umfeld. “Mir gehts gerade echt nicht gut, ich habe Schmerzen im Knie und meine Gedanken sind bei meiner kranken Tochter zuhause.” wird eher weniger erwartet.

Das “Danke, gut" sagt auch jeden Tag aufs Neue, dass im Job erwartet wird, dass Leistung gebracht werden muss - egal wie es mir geht. Privates hat im Job oftmals nichts verloren. Lange Zeit habe ich das nicht hinterfragt. Irgendwie macht das ja jeder so. Bis ich eines Tages erfuhr, dass ein ehemaliger langjähriger Mitarbeiter an einer chronischen Krankheit leidet, was seine Art zu Arbeiten stark beeinflusst. Er hat das nie kommuniziert. Und seitdem frage ich mich: In welchem Arbeitsumfeld leben wir, dass so etwas nicht besprochen werden kann?

Über die Gründe kann ich nur Vermutungen anstellen, aber es hat mich sehr lange beschäftigt. Ich brauchte Klarheit und Antworten. Eine Umfrage musste her. Und die Ergebnisse sind wie erwartet. Aber seht selbst:

 

Wie wichtig ist dir deine Gesundheit?

  • 72% Sie ist mir wichtig aber ich könnte noch mehr tun dass es mir gut geht
  • 28% Sehr wichtig – ich achte auf genügend Schlaf, gesunde Ernährung und tue auch sonst viel dass ich gesund bin
  • 0% Nicht so wichtig

Bist du schon mal arbeiten gegangen, obwohl du krank warst?

  • 63% Ja, aber selten
  • 37% Ja, das mache ich öfter
  • 0% Nein

Krank zur Arbeit – ist das normal?

Fast 40 % gehen also regelmäßig arbeiten, obwohl sie krank sind. Der Rest immerhin ab und zu. Natürlich ist meine kleine Umfrage nicht auch nur im Ansatz repräsentativ (es gab 43 Antworten). Aber sie zeichnet ein Bild aus meinem Umfeld. Die Begründungen dafür sind sehr unterschiedlich. Was dabei immer wieder genannt wird, ist die Loyalität gegenüber den Kollegen. Viele Antworten zeigen auch eine Unsicherheit, wann sie denn “krank genug” sind, um sich abzumelden. Auch das Homeoffice scheint eher dazu zu verleiten, krank zu arbeiten, weil “man steckt ja niemanden an”.

Wie kommen wir nun von einem Arbeitsumfeld der Unsicherheit, des permanenten Abwägens, was richtig und falsch ist, hin zu einer Kultur, die Verlässlichkeit und Klarheit ausstrahlt?

Wie kannst du arbeiten?

Es ist eigentlich ganz einfach: Um ein solches Arbeitsumfeld zu gestalten, berücksichtigen wir die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben unserer Mitarbeiter:innen. Dies beinhaltet den respektvollen Umgang mit unterschiedlichen Biorhythmen, körperlichen oder geistigen Einschränkungen, familiären Verpflichtungen und persönlichen Präferenzen. Das verlangt natürlich allen Beteiligten Offenheit ab. Aber die Erfahrung zeigt uns: es zahlt sich aus, denn es gibt eben nicht die eine “richtige” Art zu arbeiten.

Frühaufsteher oder Sternengucker?

Ein Beispiel für den Umgang mit individuellen Bedürfnissen ist die Einführung flexibler Arbeitszeiten. Unsere Mitarbeiter:innen können ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen, regelmäßige Team-Meetings geben lediglich einen groben Rahmen vor. Dies ermöglicht es ihnen, ihre produktivsten Stunden zu nutzen und ihre Arbeit besser an ihren individuellen Biorhythmus anzupassen.

So können beispielsweise Mitarbeiter:innen, die schon früh am Morgen produktiv sind, dies genauso nutzen wie andere, die sich eher zu den Nachteulen zählen und ihr volles Potenzial ausschöpfen, während gleichzeitig die Arbeitsabläufe und Kommunikation im Team gewährleistet bleiben. Gerade in Stressphasen führt eine selbstbestimmte Organisation zu mehr Ruhe im Arbeitsalltag. Das aktuelle Projekt wird dann nicht mit ins Bett genommen, was viele Teilnehmer:innen der Umfrage als einen wichtigen Punkt für ein gesundes Arbeitsverhältnis nennen.

Besondere Anliegen? Kein Problem.

Ein weiteres Beispiel ist die Schaffung eines inklusiven Arbeitsumfelds für Mitarbeiter:innen mit besonderen gesundheitlichen Anforderungen. Höhenverstellbare Schreibtische passen sich den Mitarbeitenden an. Darüber hinaus ermöglichen die flexiblen Arbeitszeiten oder die Möglichkeit des Home-Office, die Arbeit effektiv zu erledigen, auch wenn sie aufgrund einer Einschränkung nicht (jeden Tag) ins Büro kommen können. So stellen wir sicher, dass alle gleichberechtigt teilhaben können. Kleine Veränderungen oder Anpassungen machen da bereits einen großen Unterschied.

Weniger krank durch glückliches Arbeiten!

Natürlich kommt auch bei uns noch manch einer krank zur Arbeit, doch es ist seltener geworden. Wobei die Krankheitstage insgesamt nicht zugenommen haben. Vielleicht liegt es an all den Stellschrauben, die wir bereits gedreht haben, um ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter:innen ihr volles Potenzial ausschöpfen können, ohne ausgebeutet, gestresst oder erschöpft zu sein?

Es gibt bereits viele Unternehmen, die so denken und handeln wie wir. Ich denke, dass da eine neue Generation heranwächst. Doch es ist noch ein langer Weg, bis diese wertschätzende, gesunde Arbeitskultur der Normalzustand ist. Es ist an der Zeit, traditionelle Arbeitsmodelle zu überdenken und den Weg für eine inklusive und flexible Arbeitswelt der Zukunft zu ebnen.